Tristhana als Mantra

Asanas üben ist eine Sache, dabei konzentriert bleiben eine andere. Mit Hilfe von Tristhana geht beides zusammen. Es wirkt wie ein Mantra, um uns sofort wieder ins Hier und Jetzt zurückzuholen.
Von Sascha and Romana Delberg

Tristana? Na klar, ein Film von Buñuel. Catherine Deneuve, Fernando Rey, herrlich. Gehört aber nicht hierher. Das Tristhana, das wir hier meinen, gibt es schon eine Weile länger als Buñuels Melodram. Der Sanskritausdruck, übersetzt „dreibrüstig“, steht für die „drei Säulen der Aufmerksamkeit“. Tristhana bezeichnet den in der Asana-Praxis angestrebten Zustand der Konzentration, wobei diese auf drei Ebenen gehalten wird: auf jener der Ujjayi-Atmung plus Bandhas (Mula Bandha = Verschluss des Damms/Perineums, sowie Uddiyana Bandha = Verschluss zwischen dem Bauchnabel und dem Schambein); auf der des jeweiligen Drishti (Blickpunkt/Blickrichtung), sowie der Asana, die wir gerade vollführen, als Rahmen für die ersten beiden. Tristhana ist ein schönes Beispiel für das alte yogische Wissen, das weniger wissenschaftlich als vielmehr intuitiv erarbeitet worden ist. Ebenso wie das Yoga selbst Weg und Zustand zugleich ist, so bezeichnet auch Tristhana den Weg zur wie auch den Zustand der Konzentration selbst.

Tristhana hat folgende drei Komponenten: Erstens die Atmung, welche die Bewegungsabfolge strukturiert. Im Ashtanga Vinyasa Yoga ist jeder Bewegungssequenz eine Ein- bzw. Ausatmung zugeordnet, das Wort „Vinyasa“ bedeutet in diesem Kontext „Sequenzieren von Atem und Bewegung“. „Ashtanga practice is a breathing practice … The rest is just bending“, soll Shri K. Pattabhi Jois gesagt haben. Es ist auch nicht irgendeine Atmung, sondern Ujjayi (wörtlich die Siegreiche, weil sie über die gewohnten Atemmuster obsiegt), wobei der Luftstrom in der Stimmritze gedrosselt wird. Dadurch wird der Atem länger, akustisch wahrnehmbar und damit zu einem Konzentrationspunkt. Durch die intensive Ausrichtung auf den Atem nehmen wir auch Einfluss auf unseren Geist (Citta), denn die beiden sind miteinander verbunden wie zwei Fische, die synchron schwimmen.

Die Ujjayi-Atmung entsteht in der Region des Kehlkopfes, der Stimmritze (Glottis) und der Schilddrüse, ein Bereich, der für unseren Ausdruck in der Welt zuständig ist, aber auch nach innen, in unsere Gedankenwelt, gerichtet ist. Manchmal klingt unsere Ujjayi-Atmung wie das Flüstern eines Liebhabers, ein anderes Mal in fordernden Stellungen etwas kräftiger kriegerhaft. Auf körperlicher Ebene erzeugt die Atmung Hitze, die uns besser hilft zu schwitzen, auf psycho-mentaler Ebene erzeugt sie Tapas, eine Art geistiger Reibung, die zur Disziplinierung unseres Geistes beiträgt. Shri K. Pattabhi Jois hat immer wieder betont, wie wichtig das Erzeugen von Hitze ist, die nicht nur den Körper, sondern auch den Geist purifizieren soll.

Die Ujjayi-Atmung wirkt, vor allem beim Einatmen, wie ein Sog auf den Innenraum des Körpers, was dazu führt, dass der Bauch-Innendruck steigt und die Bandhas, um diesem Druck standzuhalten, aktiv werden. Weiters halten Mula Bandha und Uddiyana Bandha die Körpermitte stabil und unterstützen eine Aufrichtung der Wirbelsäule.

Die zweite Komponente ist das jeweilige Drishti. Durch den Fokus auf bestimmte Blickpunkte, sei es die Nase, das dritte Auge, der Fuß usw., verhindern wir, dass wir durch Herumschauen abgelenkt werden. Dabei ist der Blick weniger ein Anstarren als mehr ein sanftmütiger Blick. Das Halten des jeweiligen Drishti ist ein erster Schritt in Richtung Pratyahara (Zurückkommen zu unseren Sinnen und Hinwendung zum Selbst). Die dritte Konzentrationsebene ist die Yogastellung, die in Patanjalis Worten gleichermaßen mit Wachheit und Leichtigkeit gehalten wird.

Tristhana bezeichnet jene Erfahrung, bei der diese drei Ebenen der Konzentration sich, quasi synchronisiert, zu einer Bewegung, zu einem Flow, einem Atem vereinen. Es ist ein Gefühl von Ganzheit, eine Erfahrung von Einheit, die aus der Bündelung dreier ,,Kräfte“ auf der Ebene des Körpers, des Nervensystems und des Geistes erwächst. Die ,,bewegte Meditation“, von der im Zusammenhang mit Yogasana – dem Üben von Asanas – immer wieder gesprochen wird, ist dann nicht mehr weit, ja unser Gleiten durch die Serie wird uns fast wie die Entfaltung einer einzigen Asana in ihren verschiedenen Spielarten vorkommen. Letztlich ist Tristhana das Merkmal, worin Ashtanga Vinyasa Yoga sich von anderen Yogastilen ebenso wie von Gymnastik, sprich, einer rein physischen Betätigung, unterscheidet.

Sobald wir abschweifen, können wir uns durch Abrufen der Punkte von Tristhana sozusagen wieder zurückholen. Eines der schönen Dinge am Yoga ist, dass es unsere Konzentration schult – indem es uns diese abverlangt. Wir merken das sofort: Kaum sind wir mit unseren Gedanken woanders, läuft die Asana aus dem Ruder. Wenn wir in Utthita Hasta Padangustasana hin- und herwanken, liegt das zwar zum Teil an der Schwierigkeit, das Gleichgewicht zu halten, zu einem Gutteil aber auch daran, dass wir nicht ganz bei der Sache sind.

Atme!

In den IBM-Büros sollen früher Tafeln an der Wand gehängt sein, auf denen nichts weiter stand als ,,Think!“ Sie sollen ungemein anregend und produktivitätssteigernd gewesen sein, die Mitarbeiter dazu gebracht haben, sich jedesmal, wenn sie auf das Motto blickten, daran zu erinnern, weshalb sie eigentlich hier saßen. – Wir sind natürlich komplett gegen Gehirnwäsche und Manipulation. Aber wir glauben an die Kraft der Konzentration und daran, dass wir sie zurückholen können, sobald sie nachlässt. Wir erinnern uns immer wieder an „Asana“, „Atmung /Bandha“, „Drishti“, welche uns in die Gegenwart unseres Yoga-Praktizierens zurückführen. Eine Paraphrase jener wohl elementarsten Aufforderung, die Ram Dass in die Worte „Be Here Now“ gefasst hat.

Durch Tristhana machen wir uns auch verstärkt bewusst, dass das Üben von Asanas keine bloße Gymnastik ist. Wir verbinden unseren Körper mit unserem Geist statt die beiden auseinanderzukoppeln, wie man das bei jenen beobachten kann, die auf Heimtrainern radeln bzw. auf Laufbändern laufen und dabei lesen oder fernsehen. Sie führen ihren Körper quasi spazieren. Mag sein, dass das auf einer rein physischen Ebene gut ist – ein Körperbewusstsein lässt sich so eher nicht erzielen.

Mangelnde Konzentration ist eine der Schwierigkeiten, denen wir beim Asana-Üben begegnen. Eine andere ist Ungeduld. Auch hier kann uns die Besinnung auf Tristhana helfen, in der Gegenwart, sprich, in der aktuellen Asana zu verharren. Denken wir nicht jetzt schon an die nächste! Und zwar aus dem simplen Grund, dass wir, wären wir bereits in ihr, ja doch nur an die übernächste denken würden, und so weiter und so fort. Da können wir gleich in der jetzigen Asana bleiben. Haben wir es eilig? Nein, es dauert nun einmal so lange, wie es dauert.

Schon klar, die Getriebenheit, das sind nicht wir. Das ist unser Geist, der einerseits wie ein Prozessor auf einen funktionierenden Ablauf und auf Kontrolle aus ist und daher immer schon der Gegenwart vorausgaloppiert. Der andererseits das Geschehen im Raum aufnehmen, kommentieren, einordnen möchte. Und der drittens dauernd beschäftigt sein will. Wir üben Asanas und denken an das, was unser Nachbar trägt, was wir später noch zu tun haben usw.

Mit Hilfe von Tristhana können wir uns dessen bewusst werden. Durch Abrufen der Konzentrationspunkte von Tristhana besinnen wir uns sofort wieder auf das, was wir hier eigentlich machen, nämlich üben, atmen, uns konzentrieren. Wir „versiegeln“ uns gewissermaßen, nicht um uns abzuschotten, sondern um das, was wir tun, voll und ganz zu tun.

„Wenn Du gehst, geh; wenn Du läufst, lauf; vor allem, schwanke nicht zwischen dem einen und dem anderen“, soll ein Zen-Meister gesagt haben. Es muss ein Prophet gewesen sein, der in der Stille seines Klosters in den japanischen Bergen vorausgesehen hat, was unser Problem heute ist: eine nie dagewesene Kultur der Ablenkung, der Zerstreuung, der permanenten Instant-Unterhaltung. Der, wie es ein anderer Prophet, nämlich Heidegger, ausdrückte, „Seinsvergessenheit“.

Yoga ist herrlich darin, dass es uns von der Ablenkung und von der zwanghaft ratternden Maschine, die wir unseren Geist nennen, erlöst bzw. zumindest auf Distanz gehen lässt. Es hilft uns, konzentriert und aufmerksam zu sein und bringt uns in Berührung mit uns selbst. Nicht dass wir nicht nach wie vor Tendenzen zur Ablenkung, zum gedanklichen Wegdriften, zum zerstreuten Herumschauen hätten – aber es ist hilfreich zu wissen, dass wir mit Tristhana ein wie eine Reset-Taste unmittelbar wirkendes Instrument haben, um uns sofort in die Konzentration zurückholen.

„Wenn der Geist davonstürmt, hol ihn zurück. Er wird es wieder tun, hol ihn erneut zurück. Vergiss nicht, du zähmst einen Affen. Wenn er einmal gezähmt ist, wird er auf dich hören“, hat Shri Swami Satchidananda gesagt. Eine Lebensaufgabe.