Wie die Flügel eines Vogels

Stephen Batchelor, der bekannte Meditationslehrer, säkuläre Buddhist und Autor, hat kürzlich bei uns in der Yogawerkstatt einen Public Talk gehalten. Dabei ging es um ein „existentielles Paradox“, das uns alle betrifft.

Noch während seiner Zeit als tibetisch-buddhistischer Mönch hat Stephen Batchelor sein erstes Buch geschrieben, es trägt den Titel „Mit anderen allein. Eine existentialistische Annäherung an den Buddhismus“ und erschien 1983. Er spricht darin ein „existentielles Paradox“ an, das darin besteht, dass wir einerseits jeden Moment unseres Lebens vollkommen alleine sind, unser tiefinnerstes Eigenleben führen; andererseits aber an dem, was um uns herum lebt, teilhaben können und das auch sollten. „Es ist ein eigenartiges Gefühl, dass jede/r von uns etwas ganz Intimes in sich trägt, etwas, das er/sie nicht mit anderen teilen kann. Bis ins Letzte kann ich den anderen nicht so kennen wie mich selbst, und umgekehrt. Trotzdem kann ich an seinem/ihrem Leben partizipieren.“

Im Übrigen sind wir, meint Stephen, auch viel weniger wir selbst, als wir uns das einbilden. Unsere Materialisierung verdanken wir unseren Eltern, die sie ihrerseits ihren Vorfahren verdanken, und so bis an den Beginn der Zeiten. Unser Fleisch und Blut, unser Körper, unser Aussehen – all das ist uns gegeben worden. Unsere Sprache, unser Denken sind der Zivilisation zu danken, in die wir hineingeboren wurden. Stephen: „In meinen intimsten Momenten halte ich mit mir selbst Zwiesprache – aber die Begriffe kommen nicht von mir, ich habe sie sozusagen nur geborgt.“

Ich und die anderen – zwei kommunizierende Gefäße, zwei Grundprinzipien, so Stephen: auf der einen Seite mein tiefstes Innenleben, meine „innere Stimme“, mein ureigenstes Verstehen meiner selbst und der Welt; auf der anderen mein Verständnis der anderen, mein Mitgefühl mit ihnen: „Mitgefühl ist die Grundlage jeder menschlichen Beziehung.“

Damit sind zugleich zwei Prinzipien des Buddhismus angesprochen, nämlich die Kultivierung von Weisheit – inwärts gewandt – sowie, nach außen, von Mitgefühl. Eines der Ziele des Dharma ist, sowohl weiser als auch mitmenschlicher zu werden. „Diese beiden Prinzipien gehören, wie die Flügel eines Vogels, zusammen. Daher sollte man sich bemühen, sie miteinander in Einklang zu bringen, indem man das jeweilige Defizit kompensiert“, sagt Stephen. Manch einer ist mit seiner Selbstkultivierung, seiner Intelligenz weit fortgeschritten, hat aber wenig Sinn für seine Außenwelt. Man denke an jene, die viel meditieren und mit sich selbst beschäftigt sind, aber nur am Rande auch mit der Außenwelt. Doch letztlich, so Stephen, ist es nicht möglich, seine Würde und Integrität zu bewahren und gleichzeitig das Leid seiner Mitmenschen zu ignorieren. Dieser Art von Menschen rät er, an ihrer Mitmenschlichkeit zu arbeiten: Helfen, Engagement, Mitgefühl für das Leid des anderen, aber natürlich auch freundschafliche Verbundenheit (im Buddhismus: Metta) und Mitfreude (Mudita).

Andere wiederum sind desto engagierter, haben aber wenig Einsicht bzw. Verbindung mit sich selbst, ihrem Innenleben. Diese können das beispielsweise durch Meditation wieder ausgleichen.

 [show_tags]