Bewusstsein & Lebenskraft

Ein Versuch das Feinstoffliche kontextuell in unsere Yogapraxis zu integrieren und erlebbar zu machen. Yoga über den Verstand verstehen zu wollen ist, als wolle man Wurst von einem Hund bewachen lassen. Yoga in seiner Gesamtheit lässt sich auch heute noch  leichter über Metaphern und das Geschichten erzählen erfassen. Diese führen uns jenseits der Pforten der Rationalität des Alltagsgeistes in das emotionale Erleben von anderen „Realitäten“.

Yoga bedeutet Union, Verbindung und in unserer heutigen Zeit können wir vielleicht mit dem Wort Integration mehr anfangen. Aber was wird hier integriert, oder findet Union oder gar Einigung? Wir lernen uns von der grobstofflichen Mechanik unseres Körpers in die feinstoffliche Unendlichkeit des Geistes vorzutasten.


Dieses Tasten und Forschen führt uns vom Körper zum Atem, in das Reich 
der Gedanken und die Sphären des Geistes. Das Bewusstsein jenseits der Pforten unseres Alltagsgeistes führt uns in eine Dimension, die wir durchaus als eine uns innewohnenden göttlichen Präsenz bezeichnen können. Yoga ist die Union mit unserem Urgrund und dem in uns schlummernden kreativen Potenzial.  

Das in uns schlummernde Potenzial wird gerne als die göttliche, weibliche Ur-Kraft, Shakti, bezeichnet. Sie wird im Shivaismus, Tantra, Vishnuismus und Hinduismus als die schöpferische Kraft des Universums verehrt. 

In den Siva Puranas lesen wir, wie Parvati intensives tapas praktiziert, um die Aufmerksamkeit Shivas, ihren Geliebten aus ihrer früheren Inkarnation, in der ihr Name Sati war, auf sich zu ziehen. 

Shiva ist immer noch am Boden zerstört über den Verlust von Sati, seiner wahren Liebe. Sati hatte sich selbst dem Feuer geopfert, da ihr eigener Vater, ein orthodoxer Brahmane, ihre Liebe zu Shiva nicht anerkennen wollte. (Aber das ist eine ganz andere Geschichte, die ich gerne für eine weiteren Blogeintrag aufgreifen werde). 

Shiva war durch den Verlust seiner geliebten Sati immobilisiert und in sich selbst versunken. Parvati, Sati’s Inkarnation, versuchte Shiva’s Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, aber Shiva entzog sich jeglichen Kontaktes.

So entschloss sich Parvati sich in die Berge zurückzuziehen und eine intensive Periode von tapas auf sich zu nehmen. Sie fokussiert ihren Geist, übte gar yogische Positionen und gestattet nichts und niemanden sie in dieser intensiven Zeit der Transformation zu unterbrechen. Sie richtet all ihre Energien, all ihre Konzentration auf Shiva. Sie singt seinen Namen ununterbrochen bis ihr Herz in Flammen steht.

Parvati’s tapas erschütterte die Erde, es brodelte in den Meeren, es polterte bis in die himmlischen Sphären, und es drohte das Gewebe des Universums in Stücke zu reißen. Rishis und himmlische Wesen kamen zusammen aus Angst Parvati‘s loderndes tapas werde alles in sich verschlingen. Aber nichts, rein gar nichts konnte Parvati aufhalten. Sie war die Naturgewalt schlechthin, himmlisch und höllisch zugleich.  

Einzig Shiva’s Aufmerksamkeit würde ihr wildes Herz besänftigen.  

Am Höhepunkt von Parvati’s tapas, welches sich über tausende Jahre zog, wurde Shiva aus seiner Vertiefung gerüttelt. In ihm rührte sich das intuitive Wissen, dass dieses junge Mädchen, Parvati, die gegenwärtige Inkarnation seiner verloren geglaubten Liebe, Sati, sei.

Parvati ist die Verkörperung Shaktis, der kreativen, schöpferischen, weiblichen Energie, welche Shiva aus seiner Versenkung und Selbstverlorenheit in die Interaktion mit der Welt zurückholte.  

Diese Legende illustriert metaphorisch die schöpfende Kraft der weiblichen Energie, diese potente, monumentale Lebenskraft. In tantrischer Mythologie ist das Feminine, jenes Prinzip, welches das Mysteriöse des Lebens verschlüsselt in sich trägt.  

Es ist liebevoll, nährend, lustvoll, aber auch kompromisslos und unkontrollierbar. Und wenn es mal in Wut und Rage gerät, kann es nichts beschwichtigen und zurückhalten.  

Yoga kultiviert Bewusstsein für diese ominöse feminine Energie, indem wir unseren Geist an das uns durchströmende Prana (-shakti) binden. Dieses Prana entpuppt sich als unser kreativer Austausch mit der Welt um uns, unser Geist, unser Leben bauen auf dieser inneren Bewegung auf. Dieses Prana in uns, kann nicht “gewusst” werden, sondern nur in direkter Erfahrung „erfahren“ werden, und, wenn wir es uns gestatten, können wir es durchaus als „göttlich“ bezeichnen. 

Dieses rätselhafte Etwas, welches nicht wirklich ein Ding ist, ist ein primärer Impuls, der allen Kreaturen zu Grunde liegt. Diesem animierenden, belebenden Wirken bringen YogiNis ihren Respekt, Liebe, Verehrung und, ja durchaus Dankbarkeit entgegen. 

Prana ist unsere Vitalkraft.  

Wir können sie in uns fühlen, wir können uns unserer absoluten Abhängigkeit von ihr bewusst werden, und könnten uns somit von unseren vergeblichen Versuchen Kontrolle ausüben zu wollen lösen.   

Unser Ego ist nicht der Sitz unserer Gefühle und Gedanken. Diese sind kurzweilige, vergängliche und flüchtige Phänomene ohne Gestalt und Form.  

Sobald wir mit diesen biologischen und psychologischen Prozessen in Kontakt treten (durch das aufmerksame Praktizieren, Beobachten, und Kontemplieren), erkennen wir rasch, dass sie sich jenseits unserer Kontrolle befinden. 

Insofern enthüllt das Kontemplieren von Prana, das Kontemplieren des femininen Prinzips unsere inhärente Gestaltlosigkeit (bzw. Leere in Buddh.). Es entledigt uns unserer Illusion in einer Welt als isolierte, selbstbesessene Wesen zu leben. Sondern ganz im Gegenteil mit allem in Verbindung zu stehen.

Ebenso wie Shiva in der Wildnis seines Bewusstseins versteinert verharrte bis ihn Parvati aus seiner selbstgewählten Gefangenschaft befreite, verweilen wir selbstabsorbiert in unseren Vorstellungen isoliert bis wir die Bewegung des Prana, der Lebensenergie, in uns selbst mit Bewusstheit erfassen können.  

Prana ist die Initialzündung von Aktivität und Erscheinung, die animierende und belebende Kraft hinter Allem. Sobald wir seine Kraft spüren, gibt es nichts Anderes mehr zu tun, als sich hinzugeben.  

Genau wie Shiva, der letzten Endes nichts Anderes tun konnte, als sich Parvati hinzugeben.  

Im Yoga nennen wir diese Hingabe isvara pranidhana, oder die Hingabe an die Liebe. Das, was tief in unserem Herzen brennt, welches wiederum “nur” Prana ist, eine Erscheinung Shaktis, eine Gestalt des göttlichen Weiblichen. 

Sich dieser Liebe hinzugeben ist es, was uns aus unserer Egozentrik und Selbstbezogenheit befreit. Die Hingabe löst den harten Griff des Egos, welches der Illusion aufsitzt irgendetwas kontrollieren zu können.  

Die Hingabe ist ein wichtiger psychologischer Moment in unserer yogischen Entwicklung. Shiva braucht Shakti, Shakti braucht Shiva. Shakti muss gesehen, gehört und gefühlt werden, sonst ist ihre kreative Aktivität im Verborgenen, da es nicht bewusst wird. 

Die Gestaltlosigkeit oder auch Leere des Bewusstseins (Shiva) braucht die kreative Energie (Shakti) um es zu Leben zu erwecken und in den Austausch zu gehen, sich zu spiegeln, und zu strahlen. Ansonsten bleibt es dunkel, dicht und impotent.  

Shiva und Shakti – der Tanz des Weiblichen und des Männlichen oder von Kreativität und Bewusstsein – der Unendlichkeit von Gestalt und Form und dem Erkennen, dass alles im Grunde genommen heilig oder gar göttlich ist.  

Yoga hat die Kraft das feminine Prinzip zu enthüllen, welches unsere Kultur uns versucht so beharrlich vorzuenthalten*.  

Die unerschöpfliche Kraft des Prana, ist weder passiv, noch kraftlos, noch schwach, noch erschöpflich. Ganz im Gegenteil, das Feminine ist strahlend, standhaft, großzügig, opulent und reichhaltig, und vor allem nicht aufzuhalten.  

Yoga zu praktizieren erinnert uns an die animierende Kraft, prana, die hinter unseren Gedanken, Gefühlen, Worten und Taten steckt. Es ist die Quelle unseres tapas, die Quelle innerer Kraft, die uns den Weg des Yoga gehen lässt und uns beschwört immer weiter zu gehen…weg von der Mainstreamkultur in unsere eigene Authentizität. Weg von der Separation zur Einheit.




   

*Yoga ist meist einfacher zu verstehen, wenn es durch Metaphern und Sagen betrachtet wird. Wann immer die Rede von weiblicher bzw männlicher Energie ist, wollen wir diese keinesfalls als Kampf der Geschlechter verstanden haben, sondern vielmehr Energien, die Frauen, wie Männern innewohnen. 

Tapas – wie die meisten Sanskrit Worte hat eine Fülle an Bedeutungen. Im Wesentlichen bedeutet es Hitze, allerdings jene Hitze, die es braucht um „Unreinheiten zu reinigen“, zu veredeln, zu schmieden. Eingesetzt wird das Wort tapas im Zusammenhang mit einer Übungspraxis, die auf unsere Konditionierungen einwirken soll oder auf unseren Geist. Tapas ist jene „Hitze“, jenes Feuer, das wir einbringen müssen, um tiefsitzende (konditionierte) Ansichten, Angewohnheiten, Handlungsmuster „zu transformieren“. Man könnte es auch als Disziplin betrachten – aber jene Art von zielgerichteter bewusster Disziplin, die habituelle Muster durchbricht.